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Metzger, Viehhändler und Juden in Mainz

Aufgrund von rechtlichen Beschränkungen und Vorurteilen war der Handel über Jahrhunderte eine traditionelle Einkommensquelle für Juden in Deutschland gewesen, und dies traf auch nach der Judenemanzipation von 1869 zu. In den ländlichen Gebieten waren Juden vorrangig im Viehhandel tätig. Die Krise der Landwirtschaft von den 1870er bis in die 1890er Jahre hatte viele Bankrotte unter deutschen Landwirten zur Folge, von denen manche die von „raffgierigen“ Juden verlangten, angeblich „wucherischen“ Zinsen für ihren Misserfolg verantwortlich machten, obwohl landwirtschaftliche Darlehen aus anderen Quellen oft gar nicht zu bekommen waren. Der Vorwurf, dass die meisten Juden so genannte „Judenwucherer“ waren, stellte einen Grundpfeiler antisemitischer Propaganda dar. Diese Darstellung aus den Erinnerungen eines deutschen Metzgers in Mainz schildert die Konflikte zwischen jüdischen Viehhändlern und nichtjüdischen Landwirten. Sie verweist aber auch darauf, dass antisemitische Berichte über soziale Konflikte auf dem Land nicht für bare Münze zu nehmen sind. Obwohl der Viehhandel harte Arbeit war, unterhielten die beiden Seiten oft gute Beziehungen, die auf gegenseitigem Vertrauen und beiderseitig anerkannten Ertragsraten des investierten Kapitals basierten.

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Früher war allerorts auf dem Lande der Handel und die Vermittlung des Viehs (außer Schweinen) ausschließlich in Händen der Juden, welche gewöhnlich selbst Metzger waren oder mit Landesprodukten handelten. Man nannte sie Makler. Mit Vorliebe haben damals die Juden auf dem Lande die Produkte und das Vieh vermakeln geholfen. Durch ihre Waren- und Ortskenntnisse und ihre Gewandtheit waren dieselben gesucht. Die Geschäfte kamen im allgemeinen leichter zustande, wenn eine neutrale Person vermitteln half. In der Zeit, als es noch keine Zeitungen auf dem Lande gab und auch noch keine Bauernvereine bestanden, hatte fast jedes große Gut einen sogenannten Hofjuden, der alle Kaufgeschäfte vermittelte und den Vieh-Ein- und Verkauf besorgte. Diese Hofjuden genossen ein großes Vertrauen, welches sich oft auf Generationen verpflanzte. Bei der Vermittlung wurde von beiden Seiten Makelsgeld verabfolgt. Nur im Hunsrück bezahlte der Verkäufer allein das Makelsgeld. Es betrug gewöhnlich für das Großvieh einen Taler. Auf diesem Gebiet fanden die Makler ihr bescheidenes Auskommen. Erst allmählich fingen die jüngeren Generationen an, mit Großvieh auf eigene Rechnung zu handeln. Doch kamen mit besonderem Erfolg wie überall immer nur einzelne vorwärts. Der eigene Handel wäre auch damals gewinnbringender geworden, wenn nicht die zahlreiche Vermehrung im eigenen Lager selbst eine wachsende Konkurrenz geschaffen hätte. Die Bauern wurden infolgedessen von den vielen Händlern überlaufen. Ich hörte wiederholt von einem alten Händler die Äußerung „Mein Vater hat schon gesagt, alle 5 Stunden soll ein Jude wohnen, dann kann er sich anständig ernähren.“

Wie haben sich die Händler oft abgeplagt, bis sie ihr Kaufgut richtig zu Markte brachten. Man bedenke nur, daß in den früheren Jahren die Bretzenheimer und Hechtsheimer Händler, als noch keine Eisenbahnen fuhren, nach Kreuznach oder in den Hunsrück gingen und ihr Vieh eigenhändig nach Hause trieben, wobei unterwegs einzelne Tiere nicht weiterkonnten. Oft haben die Händler von Trebur nachts um 1 Uhr ihre Kälber in den Nachen geladen, um auf der Schwarzbach in den Rhein und dann rechtzeitig zur Eröffnung des Viehhofes um 6 Uhr morgens nach Mainz zu gelangen. Selbst bei den ungünstigsten Witterungsverhältnissen wurde dies ausgeführt, und oft war auch der Verdienst dazu noch sehr fraglich. Wiederholt mußten die Ingelheimer Händler mit ihren Kälberfuhren umkehren, wenn sie morgens vor 3 Uhr auf der Chaussee angetroffen wurden, denn vor 3 Uhr morgens war es verboten, mit dem Fuhrwerk auf der Landstraße zu fahren. Wahrlich, die alten Händler waren in damaliger Zeit nicht zu beneiden. Die Verhältnisse beeinflussen meist den Charakter. Kein Wunder, daß die Händler außerordentlich sparsam und tätig waren. Auch waren alle mit einem unermüdlichen Handelsgeist erfüllt und auf Gelderwerb erpicht. Gegen erwiesene Gefälligkeiten waren sie stets dankbar und vergaßen sie nie. Mit solchen Eigenschaften muß man vorwärtskommen. Bei aufsteigenden Konjunkturen und Wirrnissen fällt dies am sichtbarsten in Erscheinung. Ihr Familienleben war im allgemeinen sympathisch zu nennen. Prozesse haben sie damals möglichst gemieden. Einem Prozeßmutigen wurde öfter gesagt: „Wer recht hat, weiß jeder, wer wissen will, wer recht bekommt, soll klagen.“ Mir gefiel es immer, wenn dieselben bei Differenzen äußerten: „Macht Beschore“, d. h. teilt euch in die Differenz, oder wenn jemand heftig wurde: „Roches gilt nichts.“ Immer waren ihre Äußerungen vernünftig und zutreffend. Als es noch keine Darlehnskassen und dergl. gab, wurden die Juden auf dem Lande besonders beim Viehhandel um Kredite angesprochen. In dieser Eigenschaft wurden die Juden von der Allgemeinheit meist einseitig und mitunter ungerecht beurteilt. Wenn z. B. der Geldleiher einem Bauer Sachen versteigern ließ, weil er trotz allen Wartens weder Zinsen noch Kapital erhalten konnte, dann hieß es allgemein: „Der schlechte Jude hat den armen Mann aufs Stroh gelegt.“ Oder wenn einem Kreditlosen mehr als 5 Prozent abverlangt wurden, dann wurde der Jude als Wucherer öffentlich gebrandmarkt. Wenn die großen Banken dasselbe taten, dann hatte man eine gelindere Beurteilung. Bei Borgen und Schuldenzahlen waren damals die Bauern im allgemeinen am saumseligsten. Die schlechten Ertragsjahre mögen hierbei stark mitgewirkt haben, zumal es damals noch keine Schutzzölle gab. Besonders hatten die Viehhändler unter dem angeborenen Borgen der Bauern am meisten zu leiden. Es gab auch Händler, die die Bauern zum Borgen verleiteten, um dieselben sicherer in ihre Hand zu bekommen.

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