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Jacob Burckhardt über die deutsche Stimmungslage im und nach dem Krieg mit Frankreich (1870-72)

Wie Theodor Fontane (1819-1898) hegte auch Jacob Burckhardt (1818-1897) ernsthafte Bedenken wegen der Legitimität und der Folgen des Kriegs gegen Frankreich in den Jahren 1870/71. Burckhardt, ein Schweizer Kultur- und Kunsthistoriker, insbesondere der Renaissance, hatte ab 1858 bis zu seiner Emeritierung 1893 eine Professur in Basel inne. 1872 war ihm der renommierte, bisher von Leopold von Ranke bekleidete Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Berlin angeboten worden, doch er zögerte nicht mit der Ablehnung der Stelle: „In Basel“, so Burckhardt, „kann ich sagen, was ich will.“ Die folgenden Texte sind Auszüge aus vier Briefen von Burckhardt an Friedrich von Preen (1823-1894). Burckhardt hatte Preen 1864 auf einem seiner Spaziergänge in der Umgebung von Lörrach im Schwarzwald getroffen. Preen war Landrat, ein Beamter der alten Schule. In diesen Briefen drückt Burckhardt sein Unbehagen an Deutschlands Bestreben aus, nach dem Sieg über Frankreich eine Großmacht in Europa zu werden. „O mein lieber Freund“, schreibt er, „wo soll das hinaus?“ Zudem erwähnt er die „neue Politik“, die eine „absolutistische Regierung“ erforderlich machen könnte, um den Folgen des allgemeinen Männerwahlrechts und der steigenden Flut des Militarismus in Staat und Gesellschaft entgegenzuwirken.

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I. An Friedrich von Preen, Basel 27. September 1870


Verehrtester Herr und Freund

Ihrer Brief vom 21. August bewahre ich Ihnen recht sorgfältig auf. [ . . . ] Seit Empfang des Briefes wartete und wartete ich, ob nicht eine Pause, ein Waffenstillstand mir Zeit lassen würde, über Vor und Nach irgend eine Raison zu Stande zu bringen. Aber es geht nur immer vorwärts. Frankreich soll die Hefe des Elends und der Zerrüttung kosten, bevor man ihm nur ernstlich das Wort gönnt. O mein lieber Freund, wo soll das hinaus? besorgt man denn gar nicht daß die Pestilenz, an welcher der Besiegte laborirt, auch den Sieger anstecken möchte? Diese furchtbare Vollständigkeit der Rache hätte doch ihre (relative) Berechtigung nur wenn Deutschland wirklich der so völlig unschuldige und rein angegriffene Theil wäre wie man vorgiebt. Will man mit der Landwehr noch bis Bordeaux und Bayonne? denn logisch fortfahrend muß man ganz Frankreich, vielleicht viele Jahre lang, mit einer Million Deutscher besetzt halten. Ich weiß recht wohl daß dieß nicht geschehen wird, allein es wäre die Folgerung aus dem Bisherigen. Sie wissen, ich hatte immer die Thorheit des Weissagens, und bin schon erstaunlich damit angelaufen, aber ich muß mir dießmal doch ein Bild machen von Dem was man vorzuhaben scheint. Also wie wäre es, wenn nach Besetzung von Paris und allenfalls Lyon etc die deutsche Heerführung die Franzosen abstimmen ließe über die Regierung die sie wollen? es käme sehr darauf an wie man dieß in Scene setzen würde; Bauern und ein Theil der Arbeiter würden ganz gewiß den Louis Napoleon wieder wählen.

Es ist ein neues Element in der Politik vorhanden, eine Vertiefung von welcher frühere Sieger noch nichts gewußt, wenigstens keinen bewußten Gebrauch gemacht haben. Man sucht den Besiegten möglichst tief vor sich selbst zu erniedrigen, damit er sich künftig nicht einmal mehr etwas Rechtes zutraue. Es kann sein daß man dieß Ziel erreicht; ob man dabei selber besser und glücklicher wird, ist eine andere Frage.

O wie wird sich die arme deutsche Nation irren wenn sie daheim das Gewehr in den Winkel stellen und den Künsten und dem Glück des Friedens obliegen will! da wird es heißen: vor Allem weiter exercirt! und nach einiger Zeit wird Niemand mehr sagen können, wozu eigentlich das Leben noch vorhanden ist. Denn nun kommt der deutsch-russische Krieg in den Mittelgrund und dann allmälig in den Vordergrund des Bildes zu stehen.

Einstweilen wollen wir Beide dem Himmel dafür danken, daß wenigstens Elsaß und Baden nicht in Eins zusammengeschweißt werden, es hätte eine unselige Assemblage gegeben. Gründlich ist für die Unmöglichkeit gesorgt, indem man den Badensern so wesentlich die Belagerung von Straßburg zuwies. Ich bin nämlich so frei anzunehmen daß dieß nicht bloß aus Versehen so angeordnet worden sei. Von zwei Dingen bleibt jetzt eins: Elsaß wird entweder direct preußisch oder es bleibt bei Frankreich. Grade weil die deutsche Herrschaft in diesen neuen Ländern so schwierig ist, kann sie nur durch Preußen unmittelbar gehandhabt werden, und alle Zwischenformen wie Curatel und Tutel des deutschen Reiches etc wären unhaltbar.

Noch an einen wunderlichen Anblick wird sich die Welt gewöhnen müssen: das protestantische Haus H. als einzige effective Schutzmacht des nunmehr zum italienischen Reichsunterthan gewordenen Papstes.

Doch nun wäre genug politisirt! gebe es der Himmel daß wir uns in leidlich beruhigten Zwischenzeiten wieder einmal sehen. [ . . . ]

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