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Die Anti-Atom-Bewegung „Republik Freies Wendland” (30. Mai 1980)

Um den Bau eines atomaren Endlagers in der Nähe der Stadt Gorleben in Niedersachsen zu verhindern und um öffentliche Aufmerksamkeit für ihren Widerstand zu erregen, „besetzten” fünftausend Umweltschützer ein gerodetes Waldstück und errichteten dort eine alternative „Republik Freies Wendland”.

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Wachsam in Holzpalästen. Im Gorlebener Friedensdorf leisten Atomkraftgegner Widerstand


Der Widerstand hat die Küchen und Wohnzimmer, die Ställe und Felder weit geöffnet: Kernkraft-Gegner aus aller Welt kommen nach Gorleben, um von den Leuten, die hier im Widerstand stehen, zu lernen – Schriftsteller, Wissenschaftler, ja sogar Indianerhäuptlinge aus Kanada und den USA. Eben erst nahm eine Delegation der Bauern von Larzac, die in ihrem Land gegen die Ausweitung eines Militärlagers kämpfen, am „internationalen Bauerntreffen“ in Trebel teil, das die Bäuerliche Notgemeinschaft organisiert hatte.

Die „Gorleben-Frauen“ sind bis in die USA bekannt: Rose Fenselau wurde von einer Anti-Kernkraft-Initiative nach Chicago eingeladen. Sie kann zwar nicht hin, da sie Mann und Mutter, beide gehbehindert, versorgen muß. Doch Rose kriegt ständig Besuch aus aller Welt. Wie viele Bauernhöfe und Wochenendhäuser in Lüchow-Dannenberg ist auch Roses schmucke, kleine Wohnung in Vietze ein ständiges Lager für Gäste.

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Was sich beim kilometerlangen Demonstrationszug über die Feld- und Waldwege von Trebel zum Gelände 1004 wie ein Kuddelmuddel an Bündeln, Schubkarren und Fuhrwerken ausmacht, das nicht so aussieht, als könnte es jemals zu einer Ordnung gelangen, formiert sich gleich am Tag nach der von der Polizei ungestörten „Inbesitznahme“ des Platzes zu einem Ameisenhaufen, in dem sich Tausende Menschen, Bürger der „Freien Republik Wendland“, wie sie sich nun nennen, nach für den Außenstehenden undurchschaubaren Regeln bewegen.

In wenigen Tagen entsteht auf dem „befreiten“ Land eine ganze Holzstadt, ein Muster alternativer Fachwerkkunst und „Dorfpolitik“. Von den fünftausend anfänglichen Platzbesetzern kehren zwar viele wieder heim, doch andere stoßen nach und tun sich mit der „Bezugsgruppe“ aus ihrer Heimatstadt zusammen. Nachdem die einen, die die Nägel gebracht haben, abgereist sind, schlagen die Neuankömmlinge sie ein. Fünfzig Häuser sind bisher entstanden – jedes ein Einzelstück: Eines reckt den Giebel in die Höhe, das andere gräbt sich tief in die Erde, hier ist ein Rundhaus mit Dachterrasse, da ein Wigwam mit Wandteppichen, dort ein Frauen- und Kinderhaus mit Nachtspeicherheizung: Einwegflaschen strahlen, luft- und wassergefüllt, nachts die Wärme aus, die sie tagsüber gespeichert haben.

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